Helme verursachen Kopfzerbrechen Neue Untersuchungen fachen die Diskussion erneut an. Colin Clarke aus England arbeitete in Australien, als dort die Helmpflicht eingeführt wurde. Daraufhin studierte er Untersuchungsberichte aus der ganzen Welt zu diesem Thema - mit überraschendem Ergebnis. Wenn es um Fahrradhelme geht, geben sich Fakten und Mythen ein munteres Stelldichein. Schon die Grundannahme, daß Helme vor Kopfverletzungen schützen, wird beispielsweise nicht durch alle Untersuchungen belegt. Untersuchungen von Wassermann (1988), Thompson (1989), Dorsch (1987) und Rodgers (1988) weisen auf ein höheres Unfallrisiko für Helmträger hin. Wassermann befragte 516 Radfahrer, von denen 40 (7,8%) Helme trugen. Die Frage, ob sie in den letzten 18 Monaten Stürze mit Kopfverletzungen erlebt hatten, bejahten 20% (8) der Fahrer mit Helm, aber nur 2,7% (13) der Fahrer ohne Helm. Die Studie von Thompson ergab, daß 23,8% der Kontrollgruppe, die auf Unfallstationen behandelt wurden, beim Unfall einen Helm getragen hatten, während der Prozentsatz der Helmträger bei den Radfahrern insgesamt wieder bei 7,8% lag. Dorsch und andere ermittelten sogar einen höheren Prozentsatz von verunglückten Radfahrern mit Helm (62%), was sie auf den hohen Anteil von Radrennsportlern bei ihrer Studie zurückführten. Rodgers kam zu dem Ergebnis, daß "das Tragen von Helmen signifikant mit einer höheren Sterblichkeitsrate korrelierte." Australische Untersuchungen zu den Auswirkungen der Helmpflicht haben ergeben, daß die Zahl der Radfahrer um 35 bis 45% zurückgegangen ist, was etwa einer Anzahl von 3 bis 4 Millionen Menschen entsprechen dürfte. Weniger Radfahrer haben Kopfverletzungen erlitten, aber bei den Verkehrsunfällen hatten insgesamt weniger Menschen tödliche Verletzungen bzw. Kopfverletzungen davongetragen. In Südaustralien verunglückten wesentlich weniger Motorradfahrer und Fußgänger, und in Victoria gingen die Kopfverletzungen bei Fußgängern von 1989 bis 1992 um 33% zurück. Diese positiven Entwicklungen gehen mit umfassenden Verkehrssicherheitsprogrammen einher, die die Fahrgeschwindigkeiten und Trunkenheit am Steuer reduzieren sollen. Nach der Einführung von Radarfallen in Victoria fiel die Zahl der Geschwindigkeitsübertretungen von 23% im Dezember 1989 auf 4% im Juni 1993 und führte in diesem Bundesstaat zu einem bemerkenswerten Rückgang der Verkehrstoten von 50%. Todesfälle und Kopfverletzungen bei Unfällen mit Radfahrern hängen sehr eng mit der Fahrgeschwindigkeit zusammen. Janssen und Wiseman vermuten, daß sich durch eine Geschwindigkeitssenkung von 40 auf 30 km/h die Aufprallgeschwindigkeit des Kopfes bei Auto-Fahrrad-Unfällen um die Hälfte reduziert. Wenn man Bremszeit und Reaktionszeit berücksichtigt, könnte auch eine Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit um 4-5 km/h einen ähnlichen Effekt haben. Das V.I.S.S. (Unfalluntersuchungssystem Victoria) hat Fahrradunfälle mit Kindern in Melbourne untersucht. Die Untersuchung ergab, daß im ersten und zweiten Jahr nach Einführung der Helmpflicht 36 bzw. 45% weniger radgefahren wurde. Als die Unfallrate in Relation zu der geringeren Zahl radfahrender Kinder gesetzt wurde, ergaben die V.I.S.S. Daten, daß die Unfälle um 13 bzw. 21% und der Prozentsatz der Kopfverletzungen im zweiten Jahr um 6% zugenommen hatten. Der relative Anstieg der Unfallhäufigkeit bei Helmträgern ist wahrscheinlich auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Zum einen fahren Helmträger, weil sie sich besser geschützt fühlen, riskanter. Zum anderen können Radfahrer Vibrationen und sehr starke Beschleunigungen an Kopf und Helm ausgesetzt sein, die das Gleichgewichtsverhalten beeinflussen. Mathieson und Coin wiesen Beschleunigungen von bis zu 100 m/sec, wenn ein Radfahrer bei 15 bis 25 km/h auf ein Schlagloch auftrifft. Die Wirkung des Helmes auf das Gleichgewichtsverhalten macht den Radfahrer zu dem Verkehrsteilnehmer, der als erster vom Helmtragen entbunden werden sollte. Autofahrer werden zudem zu rücktsichtsloserem Fahrverhalten neigen, wenn weniger Radfahrer am Verkehr teilnehmen. In den Niederlanden, wo verhältnismäßig viele Menschen Fahrrad fahren, kommt ein Toter auf 60 Millionen Radkilometer, in Großbritannien bereits auf 20 Millionen km. Darüber hinaus sind Gesetze, die lediglich Radfahrer zum Tragen von Helmen verpflichten, diskriminierend, da Fahrzeuginsassen pro Fahrstunde in etwa dasselbe Risiko tragen wie Radfahrer, eine schwere Kopfverletzung davonzutragen. In Australien starben 1988 etwa 17mal soviel Fahrzeuginsassen an Kopfverletzungen wie Radfahrer, aber Autofahrer dürfen weiterhin ohne Helme fahren. Bei Unfällen, bei denen das Autodach zusammengedrückt wird, ist der Kopf trotz der Sicherheitsgurte ungeschützt, dasselbe gilt bei seitlichen Zusammenstößen. Und wenn man erst Aspekte wie Belüftung, Stauraum und Auswirkungen auf das Gleichgewichtsverhalten berücksichtigt, dann empfiehlt es sich ohnehin eher für Fahrzeuginsassen als für Radfahrer, einen Helm aufzusetzen. Helme erhöhen nach Aussage verschiedener Untersuchungen demnach nicht nur möglicherweise das Unfallrisiko und nehmen den Menschen die Lust aufs Radfahren, Helmpflicht widerspricht sogar dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil sie diskriminierend ist. Quelle: Bike Culture Quarterly, 5. Ausgabe, Februar 1995 Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung durch Open Road Ltd. The Raylor Centre, James Street, York, YO1 3DW, UK. Tel.: 0044 1904 412200, Fax 0044 1904 411155 |